„Literatur spielt im Kulturreigen der Hochschulstadt eine herausragende Rolle“, so Kulturdezernentin Dr. Andrea Hanke bei der Bekannntgabe der Preisträger vor der Presse. „Verlage, Buchhandel, regelmäßige Lesungen renommierter Autoren beim Literaturverein oder die monatlichen TatWort Poetry Slams mit den deutschlandweit besten Performance-Literaten sind nur einige Beispiele“, unterstrich die Beigeordnete Münsters Anspruch als Kompetenzstandort für Literatur in NRW.
Erstmals „Preis für Internationale Poesie“
Vor allem das Festival der europäischen Gegenwartslyrik und der Poesiepreis besitzen überregional ausstrahlendes Potential. So nutzt die Stadt das Jubiläum nun, um ihren erstmals 1993 verliehenen Poesiepreis internationaler aufzustellen. Bürgermeisterin Beate Vilhjalmsson, mit beratender Stimme Vorsitzende der Jury für die Vergabe des Preises: „Die Juroren können europäische Grenzen verlassen und Dichter weltweit in die Preisdiskussion einbeziehen. Diese Erweiterung eröffnet den `Zugriff` auf attraktive Lyrikerinnen und Lyriker. Das ist für Münster zugleich eine Chance, eine noch größere Aufmerksamkeit auf die Literaturstadt zu lenken“.
Die externe Jury, besetzt mit Literaturkritikern, Herausgebern und Autoren, nutzte sogleich ihren neuen Spielraum. Sie entschied sich für den 1979 in Topeka / Kansas aufgewachsenen Ben Lerner, heute mit Wohnsitz in Brooklyn / New York. Jury-Sprecher Norbert Wehr zur Begründung: „Ben Lerner hat mit seinem furiosen Gedichtband `Die Lichtenbergfiguren` ein Meisterstück moderner Sonett-Kunst vorgelegt, in dem der Zusammenprall der alten klassischen Erhabenheitsrhetorik der Gedichtform Sonett mit den modernen Redeweisen und den profanen Fachsprachen des 21. Jahrhunderts kunstvoll inszeniert wird“. Erschienen ist der Band im Luxbooks-Verlag (Wiesbaden). Funkelnde Denkbilder und Assoziations-Blitze
Weiter heißt es im Urteil der Juroren: „In 52 Anläufen mit jeweils überraschender Formgebung entwirft Lerner höchst bewegliche, variationsreiche Sonette, in denen sich lyrische Direktheit mit kluger poetologischer Reflexion verbindet. Im physikalischen Sinn sind die `Lichtenbergfiguren` jene farnartigen Verästelungen, wie sie elektrische Hochspannungsentladungen auf isolierten Flächen und Materialien hinterlassen. Dieses physikalische Phänomen der vielfachen Verzweigung eines Impulses manifestiert sich bei Lerner in den vieldeutig funkelnden Denkbildern, poetischen Assoziations-Blitzen und rasanten Dialogen seiner Sonette. (…)“
Lerners` deutscher Übersetzer, Steffen Popp (Berlin), 1978 in Greifswald geboren, gilt der Jury als „einer der begabtesten Köpfe der jungen deutschen Dichtergeneration“. Die Jury schreibt: „Steffen Popp hat für diese funkensprühende Assoziationskraft der Lernerschen `Lichtenbergfiguren` intelligente deutsche Entsprechungen gefunden, die der kontrollierten Sprunghaftigkeit dieses poetischen Bewusstseins gerecht werden (…)“.
Lyrikertreffen zum Thema „Übersetzen“
Ohne große Übersetzerkunst ist eine internationale Poesie nicht möglich. Das Lyrikertreffen (1. bis 3. April) wird zur zehnten Vergabe des Poesiepreises einige seiner Programmteile diesem Thema widmen. So werden zum Auftakt die beiden Preisträger einen Einblick in ihre Arbeit geben. Die Moderation dieses Werkstattgespräches, so kündigt der Künstlerische Leiter des Lyrikertreffens, Hermann Wallmann, an, übernimmt der Lyriker Matthias Göritz, der zum Band „Die Lichtenbergfiguren“ das Nachwort geschrieben hat.
Erstmals ist eine Schule Forum für den Übersetzungsschwerpunkt. Anlässlich des 20-jährigen Bestehens des bilingualen Zweigs am Mariengymnasium diskutieren Ben Lerner und Steffen Popp mit den Schülerinnen das Übersetzen von Lyrik, speziell auch der „Lichtenbergfiguren“ aus der preisgekrönten Publikation.
Kern des Lyrikertreffens bleibt - in großen Lesungen - die Begegnung mit dem Wort. Doch auch im Dialog mit anderen Künsten setzt das Lyrikertreffen Münster 2009 eingeschlagene neue Wege fort. Kulturamtsleiterin Frauke Schnell: „Schon im Vorfeld gibt es ein facettenreiches `Poetry`, eine literarische Programmfolge, die verschiedene Publikumskreise ansprechen will. Mit Slams, Literaturfilmen, Clips, Lesungen und mehr“. Nicht zuletzt öffnet sich das Lyrikertreffen auch Kindern. Dazu zählen eine Gedichtrevue von Jandl bis Morgenstern und ein umfangreiches Lyrik-Angebot für Grundschulen.
Dokumentation „Poesiepreis 1993 bis 2011“
„Poesiepreis 1993 bis 2011“ - dieses Jubiläum wird mit einer Dokumentation gewürdigt. Sie umfasst Gedichte mit Übersetzungen aller Preisträgerinnen und Preisträger. Enthalten sind zudem alle Laudationes. Auch die Laudatio für Ben Lerner und Steffen Popp: Sie wird am 3. April im Erbdrostenhof von der Lyrikerin Monika Rinck gehalten.
Info: Der Poesie-Preis, 1993 zum Stadtjubiläum „1200 Jahre Münster“ vom Rat der Stadt gegründet, wird im Biennale-Rhythmus innerhalb des Lyrikertreffens verliehen. Erste Preisträger waren der Italiener Andrea Zanzotto und seine Übersetzer Donatella Capaldi, Ludwig Paulmichl und Peter Waterhouse. Er ist mit insgesamt 15 500 Euro dotiert, Autor und Übersetzer erhalten je die Hälfte. Nominiert werden die Preisträger von einer externen Jury. Ihre Mitglieder sind Lyriker und Literaturkritiker Urs Allemann, Literaturkritiker und Herausgeber Michael Braun, Literaturkritikerin Cornelia Jentzsch, Literaturkritiker, Autor und Herausgeber Johann Peter Tammen, Literaturkritiker und Herausgeber Norbert Wehr. 2011 wird aus dem Preis für Europäische Poesie der Preis der Stadt Münster für Internationale Poesie.